Roberto Ampuero: Auf den Spuren des letzten Tango
Von was handelt ein Tango? Liebe? Oder auch mal Politik? Diese Fragen stellt sich der Autor Roberto Ampuero und diese Fragen stellt sich auch der sozialistische Präsident Chiles, Salvador Allende, zu Beginn der 1970er Jahre in seinen Gesprächen mit seinem getreuen Koch und früheren Bäcker Rufino. Mit der Liebe hat der Präsident seine liebe Mühe und politisch bricht ihm sein Land auseinander.
Das Volk leidet Hunger und selbst die US-amerikanische CIA will den Präsidenten stürzen, um ein zweites Kuba zu verhindern. Eine wichtige Rolle darin spielt zu jener Zeit der CIA-Agent David Kurtz. Diese Zeiten sind längst vergangen und doch holt ihn die chilenische Vergangenheit wieder zurück. Seine im Sterben liegende Tochter bittet ihn um einen letzten grossen Gefallen, welchen ihn nach ihrem Tod und mit ihrer Asche im Gepäck nach Chile zurückführt.
Eine packende Geschichte, gepaart aus Vergangenheit und Gegenwart. Gespickt mit viel realer Geschichte und doch ein rein fiktiver Roman. Einfach nur lesenswert.
Das Buch besteht im Grunde aus zwei Geschichten. Die eine spielt sich in den frühen 1970er Jahren ab bis zum Sturz des damaligen Präsidenten Salvador Allende im Jahre 1973. Erzählt wird dieser Teil aus der Sicht des Bäckers Rufino, welcher wie so viele andere kein Mehl mehr hat, um Brot zu backen. Die gemeinsame Zeit der Kindheit mit dem Präsidenten bringt ihn dazu, bei ihm vorstellig zu werden und so dient er ihm fortan als Fahrer von Waren und später als Koch.
Den zweiten Teil der Geschichte erleben wir aus der Sicht des ehemaligen CIA-Agenten David Kurtz, welcher unter anderem tatkräftig zur Destabilisierung Chiles und zum Sturz des Präsidenten von 1973 beitrug. Ein grosser Gefalle seiner sterbenden Tochter bringt ihn nach dessen Tod Jahrzehnte später wieder zurück nach Santiago de Chile.
Der Bäcker und der Doktor
Rufino führt eine kleine Bäckerei in einem Arbeiterviertel von Santiago de Chile. Doch wie viele weitere Güter, wird das Mehl immer knapper. Der Preis steigt, bis ihn ein Brot zuviel kosten würde für seine Kundschaft der Arbeiterklasse. Irgendwann sind die Regale der Läden ganz allgemein komplett leer und der Unmut des Volkes gegenüber der sozialistischen Regierung wird immer lauter. Durch eine Zufallsbegegnung treffen der Präsident Salvador Allende und der Bäcker Rufino wieder aufeinander. Die beiden verbindet eine gemeinsame Kindheit und so kommt es, dass Rufino dem Präsidenten vom Leid des einfachen Volkes klagt und konkret über den Mangel an Mehl für seine geliebte Bäckerei.
Der Präsident, von Rufino einfach Doktor genannt, verspricht ihm Hilfe, doch Taten lässt er keine Folgen. Die einzige Hilfe ist, dass Rufino fortan für den Präsidenten in dessen Villa in der Tomás Moro arbeitet. Zuerst fähr er mit seinem alten Lieferwagen Waren aus der ganzen Stadt und der umliegenden Region zur Villa des Präsidenten. Als die Köchin aus gesundheitlichen Gründen ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, übernimmt Rufino auch noch die Aufgabe des Koches.
Doch im tiefsten Herzen ist er nachwievor Bäcker und es betrübt ihn sehr, dass er seine Bäckerei aufgeben musste. Auch nehmen die Beschimpfungen in seinem Viertel gegenüber ihm, aber im besonderen gegenüber seiner Frau Amanda, immer mehr zu. Woher hat Rufino stets zu essen, obwohl er seine Bäckerei schliessen musste? Selten, aber doch immer mal wieder, getraut sich Rufino den Präsidenten auf die wahren Probleme des Volkes anzusprechen. Dann, wenn die beiden bei einem Glas Chivas Regal zusammensitzen. Vor sich ein Schachspiel und auf dem Plattenteller die Tangolieder von Julio Sosa oder Roberto Goyeneche. Doch hält es Rufino aus bis zum letzten Tango des Präsidenten Salvador Allende?
Der Ex-Agent und die Vergangenheit
Das Land Chile in Unruhen stürzen und den Präsidenten Salvador Allende stürzen – das waren die höchsten und wichtigsten Ziele des CIA-Agenten David Kurtz. Mit dem Erreichen dieses grossen Zieles und der zunehmend unsicher werdenden Sicherheitslage verlässt er mit seiner Familie das Land und zieht zurück nach Minnesota in den USA. Doch für Frau und Kind hatte er in seinen aktiven Agenten-Jahren kaum Zeit. Zu stark war er fokussiert auf die Interessen der Firma. Eine Tatsache, welche ihm erst in der Gegenwart so richtig bewusst wird.
Noch auf dem Sterbebett bittet ihn seine Tochter Victoria um einen grossen Gefallen, welchen er nach ihrem Versterben für sie erledigen soll. So kommt es, dass er Jahrzehnte nach seinen letzten Besuch, wieder nach Chile einreist. Im Gepäck ein Gefäss mit der Asche seiner verstorbenen Tocher sowei ein Tagebuch eines einstigen Bäckers mit dem Namen Rufino, welcher in seinen letzten Jahren für den Präsidenten arbeitete, für dessen Sturz er selbst mitverantwortlich war. Doch ist das Tagebuch real und haben sich die Ereignisse so abgespielt oder ist es lediglich eine Geschichte?
Zudem verrit ihm seine Tochter noch einen Namen: Héctor Aníbal. Diese Person – ist es wirklich nur eine Person? – soll er ausfindig machen und ihm ihre Asche überreichen. Immer mehr zieht es den ehemaligen Agenten in die Vergangenheit zurück. In die Zeit der politischen Unruhen in Chile. In eine Zeit, in welcher er viel zu wenig Zeit mit seiner Tochter verbrachte. Nicht anders kann er sich erklären, dass sie offensichtlich ein ganz anderes Leben geführt hatte, als er damals dachte. Doch ist es überhaupt noch möglich, nach so langer Zeit eine Person zu finden, von welcher man im Grunde gar nichts kennt ausser einen Namen? Kann er den letzten grossen Wunsch seiner Tochter erfüllen?
Der Roman Der letzte Tango des Salvador Allende erzählt die beiden Geschichten in abwechselnden Kapiteln. Zwei unterschiedliche Geschichten, welche sich immer wieder nahe kommen und am Ende auch tatsächlich aufeinandertreffen. Zum letzten Tango, das so ganz anders ist als noch zu Beginn der 1970er Jahre. Mit der Musik, die wie damals von Liebe und auch mal Politik erzählt.
Der Autor und seine Bücher
Der chilenische Schriftsteller Roberto Ampuero stammt selbst aus Valparaíso, der pazifischen Küstenstadt nahe zur Hauptstadt Santiago de Chile. Auch der Präsident Salvador Allende und der Bäcker Rufino stammen von dort. Roberto Ampuero wurde 1953 in eine Familie der Mittelschicht geboren und besuchte die Deutsche Schule in Valparaíso. 1972 begann er an der Universidad de Chile in Santiago de Chile das Studium.für Anthropologie (vormittags) und der Literatur (nachmittags).
Nach dem Militärputsch von 1973 konnte er dank eines Stipendiums zum Studium an der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität in Leipzig in die DDR ausreisen. 1974 zog er mit seiner damaligen Frau nach Kuba, wo er fünf Jahre blieb. 1979 kehrte er in die DDR zurück und 1983 zog er in die Bundesrepublik Deutschland. 1993 kehrte Roberto Ampuero nach Chile zurück und lebt dort als freier Schriftsteller und Kolumnist. Von 2011 bis 2013 war Ampuero chilenischer Botschafter in Mexiko und seit 2018 ist er chilenischer Aussenminister in der Regierung Sebastián Piñera.
Zwischen 1984 und heute hat Roberto Ampuero mehrere Werke veröffentlicht. Sein hier vorgestellter Roman aus dem Jahre 2012 hat mich beeindruckt und kann ich absolut weiter empfehlen.
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