Kolumbien und die Gestalt seiner Ruinen
Die BUCHweltreise nach Kolumbien führte mich zu 400 Seiten voller Verschwörungstheorien. Von Attentaten auf kolombianische Politiker in den Jahren 1914 und 1948, aber auch zu Verbindungen zum Attentat auf den US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 in Dallas und den Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn in Sarajevo von 1914. Der Roman erzählt von den Lebensumständen in diesen Jahrzehnten und von der Besessenheit eines jungen Mannes der Gegenwart.
Genial geschrieben und doch alles andere als leichte Lesekost. Aber lest selbst.
Carlos Carballo
Der Roman endet, wie er anfängt. Der Autor Juan Gabriel Vásquez, gleichermassen Figur des Romans wie der reale Autor, beobachtet wie Carlos Carballo von der Polizei verhaftet wird. Er habe versucht, den Anzug des einstigen liberalen kolumbianischen Politikers, Jorge Eliécer Gaitán, aus einem Museum zu stehlen. Mit einem Schlagring schlägt er die Vitrine ein und berührt den Anzug auf der Schulterpartie. Bei der Verhaftung zeigt er keinerlei Widerstand, vielmehr trägt er ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
Was zu Beginn ohne Zusammenhang daher kommt, scheint am Ende des Buches völlig klar und in einem ganz anderen Licht. Wollte er den Anzug wirklich stehlen, wie es offensichtlich scheint und ihm vorgeworfen wird? Sein Leben lang war er besessen von der Ermordung des Politikers Gaitán im Jahre 1948. Er ist überzeugt, dass der wahre und sogleich gelynchte Mörder nicht der einzige und wahre Täter war. Nun will er den Autoren Juan Gabriel Vásquez davon überzeugen, über seine Verschwörungstheorien zu schreiben. Dieser winkt ab, wird Jahre später jedoch umgestimmt.
Rafael Uribe Uribe
Carballo sieht Parallelen zu den Ermordungen des US-Präsidenten John F. Kennedy in Dallas von 1963 sowie von Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn in Sarajevo im Jahre 1914. Die wahren Gründe für die Umstimmung von Vásquez liegen jedoch wiederum in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. 1914 wird der General Rafael Uribe Uribe von zwei Arbeitern mit Äxten niedergeschlagen und ermordet. Doch war es wirklich so einfach, wie das die Polizei und der Staatsanwalt die Leute glauben liessen?
Im Auftrag des Bruders des Ermordeten nimmt der Jurist Marco Tulio Anzola seine eigenen Ermittlungen auf, befragt unzählige Personen, welche von der Polizei bewusst nicht befragt wurden. Jahre später will er das Gericht bei der Verhandlung des Mordes davon überzeugen, dass die beiden Mörder nicht alleine gehandelt haben, dass mächtige Persönlichkeiten aus Kolumbien daran beteiligt waren, um den General zu beseitigen. Er schreibt ein Buch mit seinen Resultaten, geht jedoch vor Gericht teils selbstverschuldet sang und klanglos unter. Er wird zur wohl meist gehassten Person von Bogotá und taucht bald darauf unter.
Jorge Eliécer Gaitán
Das Buch von Anzola ist Jahrzehnte später die Grundlage vieler Gespräch zwischen Carlos Carballo und Juan Gabriel Vásquez. Dieses Buch und der 9. April 1948, als Jorge Eliécer Gaitán, liberaler Politiker und Zukunftshoffnung vieler Kolumbianer, in Bogotá erschossen wird. Die Schüsse auf Gaitán waren der Beginn der tiefsten Krise, die das Land je gesehen hat und eines lange anhaltenden Bürgerkrieges. Mitten drin in diesem Chaos des 9. April 1948 war César Carballo, der Vater von Carlos.
Auch er hatte das Buch von Anzola gelesen und bereits bei der Ermodung Parallelen der beiden Attentate von 1914 und 1948 erkannt. Für den Tod Gaitáns war nicht nur der noch gleichentags gelynchte Mörder verantwortlich. Auch hier hatten grössere Mächte des Landes die Hände im Spiel. Davon ist Carlos Carballo überzeugt, wie es auch sein Vater war. Doch dieser kommt noch gleichentags bei den schrecklichen Unruhen im Kugelhagel ums Leben.
Juan Gabriel Vásquez
Es ist ein Buch, welches viel von der Geschichte Kolumbiens und den Lebensumständen des letzten Jahrhunderts im südamerikanischen Land wiedergibt. Es ist keine allzu leichte Lesekost, doch schafft es der Autor mit seinem genialen Schreibstil, den Leser trotzdem zu packen und die 400 Seiten voller Tragik und Drama zu lesen. Der Roman wird aus der Sicht des Autoren Juan Gabriel Vásquez erzählt. Im Grunde der fiktive Vásquez, doch gibt die Verwendung des gleichen Namens dem Buch eine zusätzliche Brisanz. Die Frage steht stets im Raum, ob es sich um wahre Begebenheiten handelt.
Die Schlüsselereignisse, wie die Attentate auf die kolumbianischen Politiker sind tatsächlich Geschehen. Aber trotzdem ist es ein fiktiver Roman, in welchem sich die Wirklichkeit mit der Fiktion auf geniale Art und Weise verbindet. Der Autor selbst ist 1973 in Bogotá geboren. Später studierte er in Paris lateinamerikanische Literatur und wurde bekannt für seine Übersetzungen bekannter Autoren. 2004 erschien sein erster Roman, dessen deutsche Übersetzung Die Informanten 2010 folgte. Heute lebt Juan Gabriel Vásquez mit seiner Familie wieder in Bogotá.
Die Gestalt der Ruinen von Juan Gabriel Vásquez erschien 2018 bei Schöffling & Co.
Lesend die Welt entdecken
Auf solche Romane stosse ich selten mal eben zufällig. Es ist jedoch immer wieder spannend, auch mal was anderes zu lesen, als unterhaltsame Krimis oder spannende Thriller. Deshalb suche ich auf meiner BUCHweltreise immer mal wieder Länder, Autoren und Bücher aus, die ich nicht kenne. Wenn mich dann etwas anspricht, lese ich es einfach. Was tatsächlich drin steckt, zeigt sich dann aber meist erst beim Lesen selbst. Versucht es doch auch mal. Auf meiner BUCHweltreise-Seite findet ihr bereits über 30 sehr empfehlenswerte Bücher aus ebensovielen Ländern. Oder ihr schaut auf buchweltreise.ch vorbei und stöbert auf der interaktiven Weltkarte nach Autoren und Büchern eures Lieblingsleselandes. Viel Spass.
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