Entschuldigen sie, ist da noch frei?
Freundlich oder total überflüssig? Gar störend? Gemeint ist die Frage im Zug. Oder Bus. Wenn man sich neben jemanden hinsetzen möchte. Für mich ganz normal. So habe ich es gelernt und so wurde ich erzogen. Erst freundlich fragen und sich dann hinsetzen. So habe ich es immer gemacht. Und so werde ich es … äh … ich meine, so mache ich es heute nicht mehr so oft. Ganz ehrlich. Denn heute wohne ich in Zürich. Und hier macht man das nicht.
Klar. Das ist jetzt etwas gar einfach ausgedrückt. Aber im Grunde entspricht es der Wahrheit. So erlebe ich das Fahren mit dem öffentlichen Verkehr hier in Zürich. Als Luzerner war ich mir das eher ländliche Bahnfahren der Region zwischen Vierwaldstättersee und dem Seetal gewohnt. Da entspricht das Bahnbillet schon fast einer persönlichen Einladung zur Fahrt mit dem Zug. „Unser“ Seetaler (so wird die S9 zwischen Luzern und Lenzburg liebevoll genannt) tuckert ganz gemütlich vor sich hin. Der Zug fährt aber auch durch eine wunderschöne Landschaft. Entlang von Balddegger- und Hallwilersee. Kann ich allen empfehlen, die mal die Zentralschweiz bereisen. Macht einen Abstecher ins Seetal. Am besten mit dem Zug.
Luzern-Zürich – so nah, und doch so verschieden
Keine Stunde von Luzern entfernt liegt Zürich. Die grösste Stadt der Schweiz. Politisch wird zwar in Bern regiert. Aber ansonsten hat Zürich in vielen Dingen die Nase vorn. Was den öffentlichen Verkehr angeht, habe ich noch selten was besseres gesehen. Zwar wird viel über Verspätungen gejammert, aber doch funktioniert das enorm dichte Bahnnetz sehr gut. Am meisten staunte ich vor doch schon einigen Jahren, dass die Tageskarte volle 24 Stunden gültig ist. Wie ist das in deiner Stadt? Also für mich war das neu. In Luzern ist jeweils um Betriebsschluss Ende Ticket.
So, und nun setzen wir uns mal gemütlich in eine S-Bahn des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV) rein. Oder einen Bus. Da kannst du jetzt frei wählen. Auch ein Tram passt. Gut besetzt, aber doch noch mit freien Sitzplätzen. Ich sage mir immer, ein Platz reicht mir. Es kann von mir aus der ganze Zug voll sein, solange noch ein Sessel für mich freisteht, ist das völlig ok. Also gehen wir dort hin und ich frage freundlich (wie ich halt bin) ob der Sitzplatz noch frei sei.
Entschuldigen sie, ist da noch frei?
Grosses Erstaunen! Ja, es blitzt schon fast ein Erschrecken im Gesicht des Gefragten auf. Gehts noch? Mich hier zu stören. Ist ja klar ersichtlich, dass der Platz noch frei ist. Sitzt ja keiner drauf. Ungefähr das erzählt der Gesichtsausdruck des Angesprochenen. Oder der Angesprochenen. Dieses Verhalten ist vollkommen geschlechterneutral.
Freundlich sein ohne zu fragen
Denkt jetzt bitte nicht, ich motze hier einfach so über alle Zürcher. Bin ja mittlerweile selber einer. Ich möchte damit auch gar nicht zum Ausdruck bringen, dass sich die Zürcher unfreundlich verhalten. Man macht es hier halt einfach so. Schluss. Punkt. Aus. Auch ich frage heute nicht mehr nach dem freien Platz. Setze mich einfach hin. Auch wenn ich die Fragerei durchaus für eine etwas persönlichere Variante halte.
Und bevor jetzt auch noch gemunkelt wird, es sei doch gar nicht so schlimm. Was es ja eigentlich tatsächlich gar nicht ist, wenn man es sich gewohnt ist. Aber nach jahrelangem ÖV-Fahren rund um Luzern fällt einem der Unterschied ganz krass auf. Echt. Mir genau so geschehen.
Und genau deshalb wollte ich diesen Artikel schon vor längerer Zeit mal schreiben. Der Titel steht schon lange. In diesen Tagen habe ich in der Online-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) den entscheidenden Beitrag gelesen, meinen Artikel nun auch fertig zu schreiben. Christina Neuhaus schreibt in ihrem Kommentar Der Zürcher Höflichkeit: Platz da! von der allgemeinen (Un-)Höflichkeit der Zürcherinnen und Zürcher.
Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.
Und ja. Der nicht ganz so tolle Ruf ist da. Dem kann ich als Luzerner zustimmen. Aber in der Schweiz hat jeder Kanton seinen Ruf. Die Berner sind da die gemütlichen, weil sie so gar langsam reden. Aus Walliser Sicht sind sämtliche Deutschschweizer nördlich der Alpen „Grüezis“. Was nicht unbedingt positiv gemeint ist. Die Bündner sind unsere Steinböcke und bei den Aargauern steht „Achtung Gefahr“ schon auf dem Nummernschild (AG). Es gäbe noch unzählige weitere Beispiele. Positive wie auch Negative.
So, und jetzt stellt euch mal folgendes Szenario vor. Unter den gerade beschriebenen Umständen. Da kommt ein Luzerner daher und heiratet eine Zürcherin. Er fragt im Zug freundlich nach dem Platz, sie setzt sich einfach hin. Was da wohl los war auf dem Luzerner Lande? So einiges.
Aber ich darf heute ganz selbstbewusst und aus eigener Erfahrung sagen: Zürich und dessen Bewohnerinnen und Bewohner sind nicht so schlimm wie ihr Ruf! Zürich ist eine tolle Stadt. Liegt an einem schönen See und hat ein schönes Umland. Speziell die Region zwischen Zürichberg und Greifensee. Einzig der Pilatus, der Hausberg von Luzern, fehlt mir manchmal.
Aber ich wohne gerne hier. Sehr gerne sogar. Und dafür verzichte ich auch ganz gerne auf das Fragen nach freien Plätzen. Einsteigen. Hinsetzen. Abfahren.
Wie ist das in deiner Stadt? Oder Region? Hast du schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Ich freue mich auf deinen Kommentar.
Also ich bin aus dem Schwabenland und uns wird oft vorgeworfen geizig zu sein. Persönlich kann ich das so nicht bestätigen, aber das muss dann ja jeder selbst wissen.