Martin Suter: Viel wahres in der Geschichte des rosaroten Minielefanten
Ein rosaroter Minielefant? Mal wieder so eine erfundene Fantasiegeschichte. Aber ist die Vorstellung denn so abartig? Wäre die künstliche Zeugung eines kleinen rosa Elefanten beim heutigen Stand der Forschung nicht sogar möglich? Lebt nicht irgendwo in einem Labor sogar schon einer? Wir wissen es nicht und wollen es wohl auch nicht wirklich wissen. Martin Suter hat sich dem Thema angenommen.
Er träumte von einem winzigen rosa Elefanten, der im Dunkeln leuchtete. Jemand, den er nicht kannte, sagte: „Das ist kein Traum, das ist Wirklichkeit.“
Was wir jedoch unbedingt wissen wollen und sollen, ist wie die Geschicht des kleinen Elefanten von Martin Suter verläuft. Das Schicksal des Minielefanten zeigt die verschiedensten Interessen der einzelnen Charaktere auf. Genau so, wie in der heutigen Gesellschaft jeder zu allererst seine eigenen Interessen durchzukämpfen sucht.
Aber wie kommt es überhaupt zur Existenz des kleinen rosaroten Elefanten? Und weshalb wird dieser gleichermassen von einem Schweizer Zirkus sowie von chinesischen Investoren gesucht? Schauen wir gemeinsam rein in die Geschichte des kleinen rosaroten Elefanten.
Mit seinem neusten Roman Elefant hat der Schweizer Autor Martin Suter nicht nur ein gutes Buch geschaffen. Nicht nur eine tolle Geschichte. Vielmehr hat er ein liebevolles kleines Wesen erschaffen. Einen rosaroten Minielefanten, welcher in der Nacht leuchtet. Ein kleines Geschöpf, dessen Artgenossen unserer Welt in aller Regel gross und imposant daher kommen.
Das Buch erschien just einen guten Monat, bevor im Zoo Zürich mit Ruwani ein tatsächlich ebenso kleines, liebevolles Elefantenbaby zur Welt kam. Wenn auch nicht ganz so klein und glücklicherweise auch nicht rosa. Aber ist die Vorstellung eines kleinen rosaroaten Elefanten in unserer Wirklichkeit tatsächlich so weit hergeholt?
Die Geschichte
Der kleine rosarote Elefant ist das Erzeugnis des Genforschers Dr. Roux. In einer Elefantenkuh des Zirkus Pellegrini pflanzt er einen genmanipulierten Fötus ein. Der Embryo wächst in der Schwangerschaft jedoch nur ganz schwach und so wird das Experiment bald schon als gescheitert angeschaut. Für den Elefantenpfleger ist der heranwachsende kleinwüchsige Elefant heilig. Mit der Hilfe eines Veterinärs verkündet er den Schwangerschafts-Abbruch.
Nach der Geburt des Minielefanten gedeiht dieses vorerst prächtig bei Dr. Reber, dem helfenden Tierarzt. Das kleine Geschöpf scheint gerettet vor den Forschern. Doch diese kommen dem Betrug dahinter und wollen den Elefanten zurück haben. Zur Unterstützung und Kontrolle schicken die chinesischen Investoren Tseng in die Schweiz.
Nicht als Veterinär, nicht als Spezialist für Elefanten, nicht als Wissenschaftler. Er war seit der ersten Begegnung mit dem kleinen Wesen verzaubert von dessen – Anmut.
Auf der Flucht landet der kleine Elefant in der Höhle des Obdachlosen Schoch. Ahnungslos über die ganzen Hintergründe und die Herkunft des Elefanten sucht dieser Rat bei Valerie in der Gassentierklinik. Valerie versteckt sowohl den Elefanten als auch den Obdachlosen Schoch in ihrem ehemaligen Elternhaus im Villenviertel der Stadt Zürich.
„Das kann ich nicht ohne Hilfe.“
Sie schüttelte den Kopf. „Mich brauchst du nicht anzuschauen. Ich habe einen Beruf.“
„Ich auch.“
„Welchen?“
„Obdachloser.“
Doch das Versteckspiel kann nicht ewig so weitergehen. Auch braucht der kleine Elefant ein entsprechendes Umfeld und die richtige Pflege. Kaung verlässt den Zirkus und macht sich ebenfalls auf die Suche. Doch, welche Interessen werden sich durchsetzen? Wie wird das Schicksal des kleinen rosaroaten Elefanten ausgehen?
Die Schicksale
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der kleine rosarote Elefant. Die einen finden ihn, die anderen suchen ihn. Aber alle haben mit ihm direkt oder indirekt zu tun. Ob aus Mitgefühl oder Geldgier – die Interessen sind verschieden. Ich stelle euch nun die wichtigsten Persönlichkeiten des Buches kurz vor.
Sabu Barisha – der kleine rosarote Elefant
Die Hauptperson der Geschichte, welche aktiv nicht viel dazu beitragen kann. Der Elefantenpfleger Kaung und der Veterinär Dr. Reber halten die Geburt des kleinen Elefanten vor den Genforschern geheim. Als Dr. Reber jedoch flüchten muss, versteckt er den kleinen Elefanten in einer Höhle am Fluss. Diese Höhle wiederum ist der Schlafplatz des Obdachlosen Schoch und so finden diese beiden zusammen.
Schoch – der Obdachlose
Schoch lebt seit vielen Jahren schon auf der Strasse und will kein anderes Leben mehr. Eines Tages findet der ehemalige Banker jedoch den kleinen rosaroten Elefanten in seiner Höhle am Fluss. Er weiss zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sein Leben nie mehr so sein wird, wie es bisher war.
Schoch gehörte zu den Schweigsamen. Er trank nicht vor zehn Uhr. Und auch wenn er etwas getrunken hatte, redete er nicht viel. Und wenn er redete, tat er es leise. Das verlieh ihm etwas Geheimnisvolles. Das und die Tatsache, dass man nichts wusste über ihn.
Dr. Roux – der ehrgeizige Genforscher
Dr. Roux sehnt nach grossem Ansehen in der Forschungswelt und will mit dem Experiment zur Zeugung eines rosaroten Elefanten den endgültigen Durchbruch schaffen. Als er herausfindet, dass das scheinbar gescheiterte Experiment vollkommen geglückt ist, gibt es für ihn nur noch eines. Den kleinen rosaroten Elefanten finden – koste es, was es wolle.
Pellegrini – der Erfolg suchende Zirkusdirektor
Pellegrini ist der Direktor des gleichnamigen Zirkus mit Familientradition. Doch im Gegensatz zu seinem Vater ist er es nicht aus Leidenschaft, sondern einfach, weil er es sein muss. Mit dem künstlichen Befruchten seiner Elefantendamen verspricht er sich finanziellen Zustupf für die Zirkuskasse. Die Elefanten selbst sind ihm im Grunde egal.
Ein Direktor ist immer so bedeutend wie das Unternehmen, dem er vorsteht. Und der Zirkus Pellegrini war leider nicht mehr so bedeutend, wie er es einmal war.
Kaung – der Elefantenflüsterer
Für den Elefantenpfleger im Zirkus Pellegrini sind die Elefanten das höchste Gut überhaupt. Nichts ist ihm heiliger. So bringt er es nicht übers Herz, den kleinen rosaroten Elefanten an den Forscher Dr. Roux „auszuliefern“. Doch als der kleine Elefant verloren geht, macht sich auch Kaung auf die Suche nach ihm.
Dr. Reber – der tierliebende Veterinär
Im Gegensatz zu anderen Tierärzten im Buch, steht für den Veterinär Dr. Reber das Wohl der Tiere im Vordergrund. Das ist der Grund, weshalb er Kaung bei der Pflege des kleinen rosaroten Elefanten hilft.
Doch mit der Frage, wie unethisch man zur Verhinderung von etwas Unethischem vorgehen durfte, hatte er sich noch nicht weiter beschäftigt.
Valerie – die gute rettende Seele
Sie hat das wohl grösste Herz für Tiere von allen. Sie ist Tierärztin und leitet die Gassentierklinik, in welcher sich Schoch mit dem Babyelefanten zeigt. Sie erkennt die Wichtigkeit des Tieres und welche Gefahren bestehen könnten. Denn einen kleinen rosaroten Elefanten kann es im Grunde gar nicht geben – und doch steht Schoch mit einem in ihrer Praxis. Sie hilft – dem Elefanten und dem Obdachlosen Schoch.
Tseng – der Gesandte der chinesischen Investoren
Er soll den Beweis für die Existenz des kleinen rosaroten Elefanten finden und nach China bringen. Dr. Roux scheint dem ganzen Chaos mit dem Verschwinden des Elefanten nicht mehr gewachsen zu sein und so entsenden die Investoren Tseng in die Schweiz.
Wer denn behaupte, dass er in einer Höhle am Fluss schlafe, hatte er gefragte.
„Ihr einäugiger Nachbar“, hatte Roux geantwortet.
„Bolle?“ Giorgio lachte. „Der sieht mal wieder rosa Elefanten.“
Bolle – der Säufer und Schwätzer
Bolle lebt – wie Schoch – auf der Strasse, säuft aber mehr und redet noch viel mehr. Nachdem Schoch nicht mehr in der Höhle auftaucht, erbt Bolle dessen Schlafstätte. Doch eines Tages erblickt er wieder Schoch – und zwar mitsamt dem kleinen rosaroten Elefanten. Bolle glaubt nicht, was er gerade gesehen hat und schreibt die Erscheinung dem Alkohol zu. Auch seine Kumpane auf der Strasse nehmen ihn nicht für voll, als Bolle von einem kleinen rosaroten Elefanten erzählt. Es glaubt ihm keiner – bis dies Dr. Roux und Tseng zu Ohren kommt.
Mein Fazit
Nach diversen Krimis und Thrillern war Martin Suters Elefant mal wieder was ganz anderes. Aber mindestens genauso spannend. Dass der kleine rosarote Elefant in unserer aktuellen, bekannten Welt nicht reell existiert, tut kaum was zur Sache. Der kleine Elefant ist mir ganz einfach ans Herz gewachsen und mit ihm der Obdachlose Schoch. Sein Schicksal existiert wohl kaum nur in der Geschichte. Ich bin überzeugt, dass es Personen gibt, die tatsächlich nichts anderes mehr wollen, als eben einfach auf der Strasse zu leben. Unvorstellbar, aber wohl wahr.
„Ich werd verrückt!“, stiess er aus.
Und noch einmal: „Ich werd verrückt!“
Und dann leiser: „Oder bin es schon.“
Der Schreibstil von Martin Suter sagt mir sehr zu. Das Buch ist flüssig zu lesen und die Geschichte packt den Leser sehr schnell. Die verschiedenen Schicksale haben ganz sicher für jeden einen Liebling auf Lager. Auch wenn sich wohl der Grossteil für Schoch und den kleinen Elefanten entscheiden werden. Denke ich. Interessant finde ich die Beschreibung der Örtlichkeiten. So kommen immer wieder bekannte Gegenden und Ortschaften vor, es bleibt jedoch sehr viel offener Raum für eigene Vorstellungen.
Erzählt wird die Geschichte aus Sicht der verschiedenen Personen. So kommen einige Situationen mehrmals vor, jedoch immer aus Sicht des aktuell erzählenden Charakters. So sieht der Obdachlose Schoch zu Beginn zwei Männer im Fluss stochern, als ob sie nach etwas suchen. Einiges später im Buch, weiss man dann auch, was diese zwei Gestalten versuchen, herauszufischen und um wen es sich handelt.
Weiter greift das Buch sehr aktuelle gesellschaftliche Themen auf, ohne dass man sich im Detail mit diesen beschäftigen muss. Aber es lädt dazu ein. Einerseits ist die Genforschung sehr zentral, ist der kleine rosarote Elefant doch ein Ergebnis aus diesem Forschungsgebiet. Es geht aber auch um viele Schicksale einzelner Menschen – konkret der Obdachlosen – aber auch eines ganzen Familienzirkus, welcher unter der Führung des Junior-Direktors immer mehr zu kämpfen hat.
„Was du hier hast, das gibt es gar nicht. Das ist eine Weltsensation. Ist dir das klar, Schoch?“
„Ja, verdammt noch mal!“
Beide schwiegen.
Bis Schoch fragte: „Wenn es das nicht gibt, weshalb gibt es es dann?“
„Genmanipulation.“
Ich darf euch das Buch sehr empfehlen. Schreckt nicht vor der futuristisch wirkenden Vorstellung eines rosaroten Minielefanten zurück. Es ist vielmehr die ganze Geschichte und die diversen Schicksale, die einen packen.
Der Autor
Der Schriftsteller, Kolumnist und Drehbuchautor Martin Suter wurde 1948 in Zürich geboren, wo er auch heute wieder lebt. Bis 1991 war er als Werbetexter und Creative Director tätig, ehe er sich ausschliesslich dem Schreiben widmete. Ich selbst kenne Martin Suter in erster Linie als Buchautor. Zuletzt erschienen Montecristo sowie Elefant. Mit seinen Romanen feiert er auch international grosse Erfolge. 2011 startete er mit der Allmen-Krimiserie, wovon bisher vier Folgen erschienen sind.
Als Kolumnist schrieb er für die grossen Zürcher Zeitungen. So schrieb er 15 Jahre lang die wöchentliche Kolumne Business Class der Weltwoche und danach im Magazin der Tamedia. Weiter verfasste er die Geschichten um Geri Weibel im NZZ-Folio.
In der Dunkelheit des Raumes war das Paar kaum mehr zu erkennen.
Aber der rosarot leuchtende winzige Elefant, der den beiden folgte, umso besser.
Die Bücher
Eine vollständige Übersicht der Werke von Martin Suter findet sich auf der Autorenseite des Diogenes-Verlages. Nachfolgend finden sich die Romane des Zürcher Schriftstellers. Alle Werke sind im Diogenes Verlag in Zürich erschienen.
- Small World (1997)
- Die dunkle Seite des Mondes (2000)
- Ein perfekter Freund (2002)
- Lila, Lila (2004)
- Der Teufel von Mailand (2006)
- Der letzte Weynfeldt (2008)
- Der Koch (2010)
- Die Zeit, die Zeit (2012)
- Montecristo (2015)
- Elefant (2017)
Die Bücher der Allmen-Krimiserie:
- Allmen und die Libellen (2011)
- Allmen und der rosa Diamant (2011)
- Allmen und die Dahlien (2013)
- Allmen und die verschwundene Maria (2014)
BUCHweltreise in der Schweiz
Mit Martin Suter und dem kleinen rosaroten Elefanten bin ich auf meiner BUCHweltreise für kurze Zeit in die Heimat geflogen. Die Schweiz. Die Geschichte spielt grossmehrheitlich um Zürich und in der Ostschweiz.
Ich reise nicht alleine. Also schaut euch doch auch mal wieder die weiteren BUCHreiseberichte meiner mitBUCHreisenden an. Ganz einfach bei der Reiseleitung auf umgeBUCHt.
Dr. Roux, Dr. Hess und Ben, der Elefantenpfleger, befanden sich in der Box von Asha. Sie war im sechzehnten Monat, und Dr. Hess führte auf Drängen von Roux gerade seine – er wusste nicht wievielte überflüssige – Ultraschalluntersuchung durch.
Als er sie beendet hatte, sagte er fröhlich: „Wie immer: Der Embryo ist kerngesund und entwickelt sich normal.“
„Normal!“, brüllte Roux. „Ja, leck mich doch!“
Elefant von Martin Suter erschien 2017 bei Diogenes.
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Hallo Stefan,
in deiner Rezension kommt deine Begeisterung für den Roman und seine Charaktere auch sehr schön rüber! Und was für ein toller Zufall, dass du kurz nach der Lektüre im Zoo einen echten kleinen (und glücklicherweise „farblosen“!) Elefanten sehen konntest. Ich war kurze Zeit später auch im Münchner Zoo und musste beim Elefantengehege – obwohl es (leider) keine Babyelefanten gab – auch ganz oft an Suters niedlichen Mini-Elefanten denken. Ich finde, das spricht auch dafür, wie einen das Buch und sein Inhalt auch nachhaltig zum Denken anregen.
Liebe Grüße,
Elena
Hallo Elena,
ja, das hat tatsächlich perfekt gepasst mit dem Elefanten-Nachwuchs im Zoo Zürich. Bei der Vorstellung von Sabu Barisha im Buch dachte ich automatisch auch immer an den schnügelig kleinen Babyelefanten Ruwani im Zoo 🙂
Liebe Grüsse,
Stefan