Der Fahrstuhl nach unten
Neulich geschehen am Bahnhof in Luzern. Beim Aufzug vor der Hauptpost. Ich komme mit meiner hübschen Familie samt Kinderwagen gemütlich und in guter Stimmung daher gelaufen. Der Fahrstuhl ist voll beladen und fährt los. Nach unten. Das ist so klar, da dieser Aufzug nur zwei Stockwerke zählt und wir uns oben befinden. Wir kommen und als der Aufzug losfährt, drücke ich den Rufknopf. Jener nach unten. Das ist der einzige, weil es ja ein Oben nicht gibt. Ich drücke also und wir warten.
Und dann. Sie schleicht sich schnell von rechts an. Und dann. Mit einer Stimme, die so laut ist, wie ihr Körper füllig, grunzt sie mich an.
„Der muss zuerst nach unten!!“
Die zwei Ausrufezeichen sind übrigens Absicht. Weniger wäre schlichtweg falsch. Mehr wäre zwar korrekt, würde die Lebenserwartung meiner Tastatur jedoch erdrückend in die Tiefe ziehen. Deshalb zwei!! Und dann drängelt sie auch noch so neben uns vor die Tür. Ich schalte unverzüglich in den Verteidigungsmodus und gebe, nicht nur zu meiner eigenen Überraschung ziemlich resolut Antwort.
„Der ist schon auf dem Weg nach unten!!“ Ebenfalls mit zwei Ausrufezeichen!!
Beinahe sieben Jahre habe ich beim weltweit zweitgrössten Liftbauer gelernt und gearbeitet, entwickelt und getestet, Kaffee getrunken und diskutiert. Hab mit diversen Simulatoren gespielt. Bin selber rauf und runter gefahren. Und dann sowas!!
„Der muss zuerst nach unten!!“
Ich hab sogar selber schon geglaubt, ich wisse langsam wie so ein Aufzug funktioniert. Es gibt ja nicht so unglaublich viele Möglichkeiten, einen Lift zu rufen. Aber trotzdem wird auch das nicht immer so getan, wie vom Erfinder gedacht. Ganz einfach gesagt gibt es folgende Möglichkeiten.
1. Ein einzelner Aufzug mit einem einzigen Knopf
Das müsste grundsätzlich jedem klar sein. Hier drückt man den einzigen vorhandenen Knopf. Optional leuchtet nach erfolgreichem Drücken ein Licht auf. Das bedeutet nichts anderes, als dass man den Taster bereits gedrückt hat und nicht mehr öfters zu drücken braucht. In meiner Laufbahn als Software-Entwickler für Liftsteuerungen ist mir nie eine Funktion über den Weg gelaufen, die berücksichtigt wie häufig gedrückt wurde.
2. Ein einzelner Aufzug mit zwei Knöpfen. Einer nach oben, einer nach unten
Jetzt wird es schon langsam brenzlig. Aber im Grunde ist es auch hier total simpel. Will man nach oben, so drückt man den Knopf mit dem Pfeil nach oben. Will man nach unten, so drückt man den Knopf mit dem Pfeil nach unten. Alles klar? Drückt man beide Knöpfe, ist man vielleicht schneller im Lift, aber mit Sicherheit nicht schneller am Ziel. Das ergibt dann höchstens erstaunte Ausrufe wie: „Wieso fährt der jetzt nach unten, ich wollte doch nach oben?“.
3. Mehrere Aufzüge mit zwei Knöpfen. Einer nach oben, einer nach unten
Auch hier: Pfeil nach oben drücken, wenn man nach oben will. Pfeil nach unten drücken, wenn man nach unten will. Hier kann es aber den ganz schlauen Leuten sogar passieren, dass sie später am Ziel ankommen, obwohl sie (oder gerade weil sie) den erstbesten ankommenden Fahrstuhl betreten. Die Pfeile hoch und runter bei den Aufzugskabinen haben nämlich eine einfache, aber sehr nützliche Funktion. Eben, um anzuzeigen, wohin sie fahren. Rauf oder runter. Also wartet auf den Fahrstul nach oben, wenn ihr auch nach oben wollt. Ihr steigt ja auch nicht in den Zug nach Bern, wenn ihr nach Luzern wollt. Oder?
4. Mehrere Aufzüge mit Etagen-Wahl-Tastatur vor den Kabinen
Diese Variante kam neu auf den Markt während meiner Lehrzeit. Hier gibt man einfach seine Zieletage ein und nimmt dann die Fahrstuhlkabine, die einem genannt wird. Auch wenn das nicht die erstbeste ist. Denn die genannte wird bestimmt die schnellste sein. Vertraut einfach auf die Liftsteuerung und deren Entwickler. Ansonsten nehmt doch gleich die Treppe.
Aber zurück nach Luzern. Diese blöde Kuh (ohne Glocke, aber offensichtlich mit versteckten Hörnern) steht immer noch neben uns. Ich startbereit, den Lift zu stürmen, sobald sich die Türen öffnen. Keinen Millimeter werde ich preisgeben. Das ist unsere Fahrt! Nach einiger Zeit des Wartens begibt sich unsere Rivalin doch tatsächlich nach vorne und schaut gespannt auf den einzigen Knopf. Nach einer kurzen Betrachtungszeit drückt sie diesen dann auch noch. Wow, jetzt hat sie es mir aber gegeben. Jetzt hat sie den Aufzug wirklich richtig bedient.
Jetzt ist der Aufzug unten!! Und kann wieder hochkommen.
Und dank ihr wird er dann auch kommen. Da kein Licht aufleuchtete beim Taster, hat sie nämlich korrekterweise nochmals gedrückt. Aber es leuchtet auch danach noch kein Licht. Aus dem einfach Grund, dass es dort kein Licht gibt.
Und dann. Wie aus dem Nichts. Von unten herkommend. Der Aufzug! Die Türen öffnen sich. Ich starte durch und erobere mit dem Kinderwagen sofort unseren Platz in der Kabine. Wir haben es geschafft! Mit aller Ruhe fahren wir mit dem Fahrstuhl nach unten.
Nach diesem Abenteuer am Aufzug schauen meine Frau und ich uns nur an und lächeln. Haben wir doch beide die gleichen Gedanken gehabt. Nur die Rollen bei der Reaktion waren leicht vertauscht.
Nun hatte ich eine weitere Lehrstunde in Sachen „Korrektes Bedienen eines Aufzuges“ erhalten. Und das bei einer wirklich komplexen Anlage: Ein Aufzug. Zwei Etagen. Unten und Oben. Ein Knopf. Aber eben. Aufzug fahren ist nicht einfach.
Auch wenn man nur nach unten will!!
Update vom 20. Mai 2016
Die Migros in Hochdorf (LU) geht auf Nummer sicher! Beobachtet und fotografiert von meiner Schwester. Danke! Es sei jedoch auch so noch nicht ganz Idiotensicher…